Einführung in Goethes Farbenlehre - Sabine Patzer

Als Goethe 1810 seine 5000 Seiten umfassende Farbenlehre veröffentlichte, hatte er 40 Jahre an ihr gearbeitet. Länger, nämlich 60 Jahre, schrieb er nur am Faustdrama. In der Farbenlehre sah Goethe seinen größten Beitrag zum Kultur- und Wissensgut der Menschheit. Schriftsteller, so sagte er, könnten viele Menschen sein, aber eine wissenschaftlich fundierte, ausführliche und systematische Theorie über die Natur der Farben geschaffen zu haben, sei niemandem außer ihm gelungen. Trotz dieser hohen Selbsteinschätzung fand die Farbenlehre in der Welt der Naturwissenschaft eine eher geringe Würdigung.[...]

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Als Goethe 1810 seine 5000 Seiten umfassende Farbenlehre veröffentlichte, hatte er 40 Jahre an ihr gearbeitet. Länger, nämlich 60 Jahre, schrieb er nur am Faustdrama. In der Farbenlehre sah Goethe seinen größten Beitrag zum Kultur- und Wissensgut der Menschheit. Schriftsteller, so sagte er, könnten viele Menschen sein, aber eine wissenschaftlich fundierte, ausführliche und systematische Theorie über die Natur der Farben geschaffen zu haben, sei niemandem außer ihm gelungen. Trotz dieser hohen Selbsteinschätzung fand die Farbenlehre in der Welt der Naturwissenschaft eine eher geringe Würdigung. Sie erkannte vielmehr den 100 Jahre vor Goethe lebenden Engländer Isaac Newton als die große wissenschaftliche Autorität an. Dessen Forschungsergebnisse über die Materie und die Kraft (»Prinzipia Mathematica«, 1687) und über die Optik (»Optics«, 1704) beinhalten die bis heute gültigen Wissensformeln der Naturwissenschaft. Newton gilt als der eigentliche Erfinder der neuzeitlichen Optik. Goethe besaß den hohen Anspruch, die Physik in ein neues Licht zu stellen, und sein ganzes Anliegen richtete sich darauf, Newton zu widerlegen. Er wandte sich vehement und nicht ohne polemische Schärfe gegen den Älteren, dessen isoliertes und abstraktes Denken er ablehnte, weil es zu sehr an der toten Materie orientiert war und die Natur zu einem bloßen Objekt degradierte. Goethe sah die Dinge – wie wir heute sagen – unter einem ganzheitlichen Aspekt; er erkannte einen tieferen Zusammenhang, der zwischen den Dingen existierte. In ihrer Ganzheit wollte er die Dinge untersuchen. So bezog er in seine Untersuchungen über die Farberscheinungen die menschliche Sichtweise bewusst mit ein.